Kanzelgastgottesdienst mit Anna Borggrefe von FridaysforFuture

„Propheten sind Menschen mit einer wachen Sensibilität gegenüber den Zeichen der Zeit. Sie ahnen die unheilvollen Konsequenzen gegenwärtigen Handelns. Das veranlasst sie zur Kritik, zum Protest, zur kämpferischen Auseinandersetzung mit bestehenden Institutionen, mit unreflektierten Normen, mit erhärteten Strukturen. Ihre Verkündigung ist provokativ, beunruhigend. Sie sind Rufer wider den Sog des gerade Üblichen, Gängigen, Normalen.“  
Dieses Zitat von Wolfang Raible ist in diesen Tagen aktueller denn je und ließe sich auf die Kinder und jungen Erwachsenen anwenden, die erst wieder vor zwei Tagen am Freitag weltweit auf die Straßen zum demonstrieren gingen. Bestimmt haben sie schon davon gehört: FridaysforFuture. Manch einer von Ihnen wird jetzt vielleicht die Augen verdrehen, manch eine erwartungsvoll lauschen: Was hat das denn bitte mit dem Gottesdienst heute zu tun?
Liebe Gemeinde, ich freue mich sehr, dass ich heute hier stehen kann und ihnen die FFF Bewegung näher bringen darf. Mir ist wichtig, dass sie verstehen, dass FFF kein Zusammenschluss von unmotivierten Schülern ist, die nur Schule schwänzen wollen und nach der Demo mit einem dicken SUV abgeholt werden. Wir sind mittlerweile eine internationale, überparteiliche Bewegung, die sich für Umwelt und v.a. Klimaschutz einsetzt, weil wir uns Sorgen um unsere Zukunft machen und enttäuscht vom Handeln der Politik sind. Wir wollen bewusst Verantwortung für unser Handeln im hier und  jetzt übernehmen. Deshalb fordern wir von der Politik die  selbstgesetzten Klimaziele einzuhalten und wollen in der Gesellschaft ein Umdenken erreichen. Gemeinsam mit tausenden Wissenschaftlern weltweit sind wir der  Meinung, dass die Klimakrise eine existenzielle Bedrohung für die Stabilität der Ökosysteme und uns Menschen ist. Mittlerweile haben sich FFF Millionen Menschen weltweit angeschlossen und demonstrieren am Freitag friedlich mit bunten Plakaten und fröhlichen Liedern.
Auch ich war vor zwei Tagen bei der Demonstration hier in Würzburg dabei. Als schon immer naturbegeisterter Mensch bin ich sehr dankbar eine Gruppe gefunden zu haben, bei der sich junge Menschen zusammen für Klimaschutz einsetzen. Es ist eine wertvolle Möglichkeit, gleichgesinnte Freunde zu finden, mit denen man sich über Umwelt und politische Themen austauschen kann.   Mitglied vom Organisationsteam von FFF Würzburg zu sein bedeutet für mich, mich aktiv in der Gesellschaft einzubringen. Hier habe ich die Möglichkeit, bewusst etwas vor Ort zu verändern. Das Wissen, dass sich noch so viele andere junge Menschen weltweit für die gleichen Ziele einsetzen, motiviert mich dabei sehr.
Liebe Gemeinde, in manch einem Gesicht von Ihnen ist vielleicht jetzt die Frage aufgetaucht: Was haben Sie überhaupt damit zu tun und warum lädt die Gemeinde St. Johannis überhaupt jemand von FFF ein?  
Der älteste christliche und nachhaltige Gedanke lässt sich schon am Anfang des Alten Testaments in der Schöpfungsgeschichte finden. In Genesis 1,28 steht: „Und Gott segnete die Menschen und sprach zu Ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan, und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel im Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht.“ Von hier an wird uns Menschen die Verantwortung für die Schöpfung und unserer Mitwelt  in die Wiege gelegt. Jetzt ist es unsere Aufgabe uns die Erde „untertan“ zu machen, wie es in der Bibel steht. Das bedeutet in diesem Fall aber nicht „untertan“ im Sinne eines hohen Machtgefälles-  der Mensch als machtbesessener, ausbeutender Herrscher und die Natur als leidendes Opfer. Sondern die Schöpfung ist fester Bestandteil des Lebens und Grundlage der Menschen. Das war sie schon damals: die Idee des „Herrschaftsauftrags“ von Gott an die Menschen ist aus der nomadischen Lebensweise heraus entstanden. Sie ist vergleichbar mit dem Umgang eines Hirten mit seinen Schafen. Herrschen bedeutet hier etwas völlig anderes, denn die Hirten kommen mit ihren Schafen und nachdem sich die Tiere am saftigen Gras satt gegessen haben, ziehen sie weiter. Sie hinterlassen keine verwüstete Landschaft, sondern ziehen rechtzeitig weiter, sodass sich die Natur wieder vollständig regenerieren kann. Gott schenkt uns also die Verantwortung für die Schöpfung mit dem Vertrauen, dass wir ihr gerecht werden und folglich nachhaltig handeln.
 Haben sie schon mal Bilder von Kohlemienen gesehen? Es ist beeindruckend mit welch riesigen Maschinen die Natur penibel und ohne mit der Wimper zu zucken, systematisch zerstört wird. Ganz zu schweigen von dem vielen Co2, das nach dem Abbau in den Kohlekraftwerken in die Luft gepustet wird. Wo sind hier die Hirten geblieben, die weiterziehen?
Nicht viel weiter hinten in der Bibel findet man einen sehr bekannten Gedanken. „Du sollst deinen nächsten lieben, wie dich selbst“, jeder kennt ihn. Es ist eine Alltagssituation: T-Shirts hergestellt in Bangladesch, 5 Euro. Es ist total bequem sie zu kaufen. Hier im Westen geht’s mir gut damit, weil ich mit den Folgen nichts zu tun habe, „mich kümmert es nicht“. Die Folgen meines Handelns treffen ungerechterweise nur die Menschen, die damit überhaupt nichts zu tun haben. Wenn wir rational darüber nachdenken: wie kann es sein, dass ein neues T-Shirt, dass genäht, gefärbt und nach Deutschland geliefert wird, unfassbare 5 Euro kostet? Es ist folglich also nicht schwer nach zu vollziehen, dass die Arbeitenden in Bangladesch schlecht bezahlt werden, schlechte Arbeitsbedingungen haben und die z.b. für die Färbung benutzten Chemikalien ungehindert in die Umwelt gelangen. Ganz zu schweigen von den Emissionen, die durch das hin und herfliegen mit dem Flugzeug entstehen.  Mit dem Kauf dieser Ware tue ich „meinem“ nächsten, in diesem Fall den Nähenden Unrecht an, weil mir ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen verbunden mit ihrer Umwelt und Gesundheit völlig egal ist. Das ist für mich mit dem christlichen Glauben nicht vereinbar.
Mir ist wichtig, dass ich als spiritueller Mensch einen lebendigen Glauben habe. Dass ich also nicht nur sage, „ich glaube an Gott“, sondern auch dementsprechend handle und lebe. Dass bedeutet auch bewusst Verantwortung für mich, mein Handeln und dessen Folgen zu übernehmen. Ich will  nicht den Gedanken haben „Gott wird’s schon richten“, sondern einen selbstbewussten und eigenständigen Glauben leben. Genauso wie ich auf Gott vertraue, weiß ich, dass er auf mich vertraut. Als junge Erwachsene möchte ich mit gutem Gewissen Abends im Bett liegen und einschlafen können. Ich möchte meinen Kindern irgendwann mal sagen können, dass ich jeden Tag mein bestes gegeben habe, um nach diesen Prinzipien zu handeln.
Einer meiner Wege dieses zu erreichen, ist bei FFF aktiv zu sein. Es geht mir nicht nur darum, Enttäuschung gegenüber der trägen Politik zu äußern, sondern auch gegenüber der Gesellschaft und mir selbst. Sich gegen etwas zu stemmen, was alle anderen denken, sagen und jeden Tag tun ist sehr unbequem. Es ist viel einfacher immer die Augen zu schließen und zu denken, dass man selber eh nichts ausrichten kann. Es ist viel einfacher mit dem Zeigefinger auf die Politik zu zeigen, als auf sich selbst. Wenn ich gefragt werde „Wo bin ich eine Säule, eine Stütze für meine Gesellschaft und Gottes Schöpfung?“, möchte ich nicht sagen „ich hab grad zu viel zu tun, keine Zeit…“, sondern: Ich bin dabei!  ich streng mich an, so gut wie ich kann!
Wir, von FFF wollen nicht nur auf das drohende Unheil zugehen. Wir gehen auf die Straße, weil wir noch Hoffnung haben. Wir glauben, dass es mehr Möglichkeiten gibt, besser zu handeln und die Zukunft nachhaltiger zu gestalten. Das fängt schon damit an, dass ich regionale Produkte einkaufe, weniger Auto und mehr Fahrrad fahre und mit dem Zug nach Venedig in den Urlaub düse.  
Am Anfang meiner Ansprache begann ich mit einem Zitat von Wolfgang Raible über das Propheten-sein.   Vielleicht sind wir von FFF manchmal „provokativ“, vielleicht sind wir für manch einen sogar „beunruhigend“. Vielleicht sind wir „Rufer wider den Sog des gerade Üblichen, Gängigen, Normalen.“  Vielleicht sind wir sogar kleine Propheten. Ich glaube Propheten können wir alle sein- auch Sie und ich.


Anna Borggrefe ist 20 Jahre alt und Studentin der elementaren Musikpädagogik.